CDU und FDP haben mit ihrer durch den Wechsel der grünen Abgeordneten Elke Twesten in die CDU-Fraktion gewonnenen neuen Mehrheit die Verabschiedung des Niedersächsischen Gleichberechtigungsgesetzes verhindert. Vorgeschoben wurde, dass es sich am 20.9. um die erste Beratung gehandelt habe, was so klang, als sei nicht schon in zahlreichen Ausschusssitzungen darüber beraten worden.

Damit wurde versucht, davon abzulenken, dass schon seit mehr als zwei Jahren über den Gesetzesentwurf beraten wurde, und zwar mehrmals im Ausschuss für Ausschuss für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Migration. Dabei wurden Verbände und ExpertInnen angehört, der Gesetz- und Beratungsdienst hat sich mehrmals zum Entwurf geäußert. Anfang August, so erfuhr unsere ASF-Bezirksvorsitzende Luzia Moldenhauer MdL am Rande eines Plenargesprächs von der Sozialministerin Cornelia Rundt, war das Gesetz im Grunde entscheidungsreif. Die von der frauenpolitischen Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion Dr. Thela Wernstedt in ihrem Redebeitrag beantragte namentliche Abstimmung wurde von einem ausreichenden Quorum der CDU abgelehnt und das Gesetz in die Ausschussberatungen zurück verwiesen.

Das Verfahren ist mit dieser Entscheidung allerdings wieder auf Null gesetzt, da Gesetzesvorhaben, die in einer Legislaturperiode nicht verabschiedet werden können, in der neuen wieder ganz von vorn begonnen werden müssen. Wir befürchten also, dass das Verfahren nach der Neuwahl am 15.10. des Niedersächsischen Landtages und der Neukonstituierung im November erst wieder von vorn angegangen werden kann.

So wurde sehr viel Zeit verloren. Und die ehemalige frauenpolitische Sprecherin der Grünen, die jetzt CDU-Mitglied ist, und die sich, als sie noch grün war, sehr für die schnelle Verabschiedung des Gesetzes eingesetzt hatte, diese Abgeordnete konnte sich gestern einer Abstimmung mit der Ausschussüberweisung entziehen. Sie hätte Farbe bekennen müssen – und das wäre ein schwarzer Tag für sie geworden.

Es folgen Dr. Thela Wernstedts Pressemitteilung und ihr Redebeitrag im Wortlaut.

Wernstedt: CDU/FDP verhindern mit der Blockade des Gleichberechtigungsgesetzes Zukunftsfähigkeit

CDU und FDP haben im Landtag Niedersachsen die Zustimmung zur No- velle des Gleichberechtigungsgesetzes verweigert: „Damit zeigen Liberale und Christdemokraten ihr wahres Gesicht. Gleichstellung und Gleichberech- tigung ist aus deren Sicht zu vernachlässigen, dabei sind die Erfolge für die berufliche Gleichstellung von Frauen deutlich“, kritisiert die SPD-Frauenpolitikerin Dr. Thela Wernstedt.

„Seit dem ersten Gleichberechtigungsgesetz 1994 ist die Zahl von Frauen in Führungspositionen im öffentlichen Dienst von 16 auf nahezu 40 Prozent ge- stiegen. CDU und FDP halten den Fortschritt im Sinne der Geschlechterge- rechtigkeit auf“, so Wernstedt.

„Das Gleichberechtigungsgesetz ist ein Gesamtpaket, mit dem sich Landesverwaltung und Kommunen auf die Zukunft vorbereiten müssen. Mit Blick auf Fachkräftemangel, der sich laut aktueller Prognosen weiter verschärft, ist es sträflich nachlässig, Gleichstellung im Blick zu haben und bei Stellenbe- setzungen nicht danach zu handeln.“

„Damit verbauen sich Verwaltungen die Zukunft und eröffnen gleichqualifizierten Frauen keine Perspektiven“, erklärt Wernstedt den Sinn des Niedersächsischen Gleichstellungsgesetzes, das noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden sollte. „Wir brauchen dieses Gesetz.“

Dr. Thela Wernstedt: „Wenn CDU und FDP sich weiter sperren, dann verweigern sie sich der Zukunftsfähigkeit von öffentlichen Verwaltungen in Niedersachsen. Wir haben mit dem ersten Gleichberechtigungsgesetz bis heute erreicht, dass der Anteil von Frauen in Führungspositionen auch in den Kommunen heute bei nahezu 40 Prozent liegt. Vor 20 Jahren waren nur zu einem Viertel Frauen im öffentlichen Dienst der Städte, Gemeinden und Landkreise in Führungspositionen.“

Mit der Ablehnung durch CDU und FDP sei eine große Chance vertan worden: „Überall, wo Frauen unterrepräsentiert sind, hätten Stellen in Zukunft grundsätzlich öffentlich ausgeschrieben und Beurteilungen geschlechtergerecht gestaltet werden müssen. Wir bleiben dabei: das Ziel ist es, Frauen weiter so zu fördern, bis sie in den Besoldungs- und Entgeltgruppen einer Dienststelle sowie in Gremien zu 50 Prozent beteiligt sind“, betont die SPD- Frauenpolitikerin Dr. Thela Wernstedt.

Darüber hinaus sollten mit der Novelle des Gleichberechtigungsgesetzes alle Gleichstellungsbeauftragten Klagebefugnis im Falle der Verletzung ihrer Rechte haben. „Für Frauen wollen wir zudem erreichen, dass sie nach ge- wünschter Teilzeitphase ihre Arbeitszeit wieder aufstocken können. Das ist immer der Fall, wenn Frauen Kinder betreuen oder Angehörige pflegen. Ohne diese Möglichkeit zur Aufstockung drohen niedrige Renten und Alters- armut“, weiß Wernstedt.

Mit Blick darauf, dass auch auf den Kandidatenlisten für die kommende Landtagswahl bei der CDU nur drei Frauen unter den ersten zehn seien, bei der FDP nur zwei, sehe man, dass Gleichstellungspolitik und Geschlechtergerechtigkeit dort nicht angekommen sei. „Wir haben als SPD in Niedersachsen selbstverständlich fünf Frauen auf den ersten zehn Plätzen“, betont Dr. Thela Wernstedt.

Rede der Landtagsabgeordneten Dr. Thela Wernstedt (SPD), 138. Plenarsitzung am 20. September 2017 zu TOP 16:

Entwurf eines Niedersächsischen Gleichberechtigungsgesetzes (NGG)

Gesetzentwurf der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen – Drs. 17/8707

Herr Präsident, meine Damen und Herren,

Gleichstellungspolitik hat lange ein angestaubtes Negativimage gehabt. Harte, verletzende Auseinandersetzungen um den § 218 in den 70ern sind noch im Gedächtnis, die autonome Frauenbewegung, die sich Freiräume gegen und unabhängig von männlich dominierten öffentlichen und privaten Räumen erkämpfte, das Öffentlich-Machen von Gewalt gegen Frauen und Wege heraus aus Gewaltbeziehungen. Es ist inzwischen 40 Jahre her. Vieles hat sich bewegt.

Meine Generation ist in den 80ern mit großen Bildungschancen ins Erwachsenwerden gestartet und glaubte, die laute große Politik nicht mehr zu brauchen.

Das Frauenwahlrecht war lange von der SPD erkämpft, die Gleichstellung im Grundgesetz besteht seit 1949, Berufschancen konnten ergriffen werden, was blieb also zu tun?

Eigentlich war alles da, um einen erfüllenden Beruf zu lernen, das eigene Leben in die Hand zu nehmen, eine Familie zu gründen, sein Geld zu verdienen und mit Partner und Kindern seinen Weg zu gehen.

Blöd nur, dass es zwar gute Ausbildungsmöglichkeiten gab, aber wenige Arbeitsplätze in den 90ern. Blöd auch, dass es keine Kindertagesstättenplätze gab.

Ärgerlich auch, dass viele damals junge Männer nach wie vor die Einstellung hatten, dass Kinder und Haushalt Frauenarbeit seien. Man fühlte sich modern, sprach viel über die eigenen guten Überzeugungen und ließ den Alltag laufen wie die Großväter. Und da es keine Kinderbetreuung gab, die Steuerklassen so sind wie in den 50er Jahren und die männlichen Berufsnetzwerke nach wie vor sehr gut funktionieren, fand sich meine Generation in der alten Rollenteilung wieder

oder hat vor lauter Arbeit und der Anstrengung immer besser als die männliche Konkurrenz sein zu müssen, keine Familie gegründet. Und ist trotz großer Leistungsbereitschaft und hohen Qualifikationen irgendwann in der Karriereleiter steckengeblieben.

Da war sie plötzlich spürbar, die gläserne Decke und mit ihr die Erkenntnis, dass zwar die großen Dinge erkämpft sind, die Sache mit der Gleichstellung aber nach wie vor nicht richtig funktioniert. Also musste man genau hinsehen: wie funktionieren Karrierenetzwerke, wer kann darauf aufpassen, dass Frauen trotzdem nicht zu kurz kommen? Die in den 90er Jahren schon älter waren hatten das schon verstanden und Druck gemacht.

Die rot-grüne Regierung unter Ministerpräsident Schröder richtete 1991 erstmals ein Frauenministerium ein und verabschiedete 1994 das erste Gleichberechtigungsgesetz.

Eine wesentliche Neuerung war, eine eigene Berufsgruppe zu schaffen, die zukünftig in Kommunen und Landesbehörden darüber wachen sollten, dass Gleichstellung verwirklicht wird und nicht im feinen Geäst der informellen Netzwerke hängenblieb:

die Gleichstellungsbeauftragten. Es ging darum, explizit Frauenförderung zu machen.

Die 90er Jahre waren wirtschaftlich schwierig. Der Fall des Eisernen Vorhangs mit der deutschen Wiedervereinigung, Bürgerkrieg im ehemaligen Jugoslawien, Migrationsbewegungen nach Deutschland und eine zunehmende Arbeitslosigkeit machten auch dem niedersächsischen Landeshaushalt schwer zu schaffen.

Wie so oft, wurde bei den Frauen gekürzt und das neue Ministerium ins Sozialministerium eingegliedert. Aber immerhin, die Sache der Frauenförderung und damit Erreichen der Gleichstellung hatte einen festen Ort für die wachsende Fachexpertise.

Mit dem Verlust der Regierungsmehrheit 2003 hatte die Frauenförderung im Lande Niedersachsen nur noch eine kurze Atempause. Längst waren die Vordenker am Werk, die hinter der Frauenförderung eine Benachteiligung der Männer zu erblicken meinten.

Gern wurden verhaltensauffällige Grundschüler, die entsprechend schlechte Zensuren nach Hause brachten, als Beleg dafür genommen, dass in den Schulen eine heimlich Benachteiligung der Jungen stattfinde, denn die Mädchen hätten ja ohnehin viel bessere Zeugnisse. Jungenförderung müsse im frühen Kindesalter her, sonst würden die Männer später ins Hintertreffen geraten. Oh Graus.

Die Frage, warum die Mädchen trotz guter Noten, hoher Leistungsbereitschaft und Qualifikation in unserer Leistungsgesellschaft in Teilzeit, schlecht vergüteten Berufen und dem unteren Drittel der Karriereleitern hängenblieben, geriet - welch ein Zufall - völlig aus dem Blick.

Unter dem Deckmäntelchen der Gleichstellung wurde die Frauenförderung zurückgedreht.

Besonders die Sozial- und Frauenministerin Ursula von der Leyen machte sich hier einen Namen. Sie sorgte dafür, dass nicht nur die Zahl der Gleichstellungsbeauftragten insgesamt reduziert wurde und ins Ehrenamt abgedrängt wurden. Nein, das reichte nicht. Nun musste auch noch eine andere Schwerpunktsetzung her.

Die Gleichstellungsbeauftragten sollten sich nur noch um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf kümmern. So wurde dem Frauenfördergesetz von 1994 klammheimlich der Boden unter den Füßen weggezogen und mit dem Deckmäntelchen der Gleichstellung kaschiert. Mit diesem Argumentationsmuster operiert die CDU noch heute.

Ich stelle hier für meine Fraktion noch einmal explizit klar: auch unser Ziel ist die Gleichstellung von Männern und Frauen: sie sollen gleiche Chancen eines guten Aufwachsens, gleiche Chancen einer guten Schulbildung und einer beruflichen oder akademischen Weiterbildung haben, sie sollen in ihren Berufen gleichermaßen vorankommen können.

Was der oder die einzelne daraus macht, ist dann von eigenen Entscheidungen und der je eigenen Lebenshaltung abhängig.

Wir halten auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf für Männer und Frauen für ein außerordentlich wichtiges politisches Anliegen. Dafür braucht es schlicht mehr Kinderbetreuung.

Die Gleichstellungsbeauftragten sollen viel stärker in die strategische Ausrichtung des Behördenhandelns eingreifen und mitgestalten. Gleichstellung ist das Ziel und kein Argument gegen Frauenförderung.

Mit diesem Gesetzentwurf, den wir in der 17. Wahlperiode sehr gründlich beraten haben, kommen wir diesem Ziel ein Stück näher.

Die Hindernisse sind kleinteiliger geworden, aber immer noch wirkungsvoll, um Frauen die gleichen Berufs- und Lebenschancen zu verbauen.

Daher haben wir eine Reihe von Details verankert. Und bei Lichte besehen, ist das Ganze gar nicht verstaubt, sondern sehr lebendig und aktuell für alle Frauen und Männer.

Die wichtigen Punkte im Gesetz sind die 50% Quote, das Gleichstellungscontrolling über die bereits bekannten Gleichstellungspläne und: wir nutzen die Behördenhierarchie.

Die Vorgesetzten sind nun in der Begründungspflicht, wenn sie die im Gleichstellungsplan angestrebten Quoten nicht erreichen.

Niemand kann sich mehr wegducken oder alles den Gleichstellungsbeauftragten überlassen. Wenn die angestrebte Quote nicht erreicht wurde, muss ein Weg benannt werden, durch welche Fortbildungen und anderen Maßnahmen die Quote erreicht werden kann. Es muss regelmäßig überprüft werden. Controlling eben. Modernes Verwaltungshandeln.

Die neue Landtagsmehrheit wittert hier schon wieder die Benachteiligung von Männern, wie unlängst zu lesen war. Das Argumentationsmuster hatte ich bereits skizziert.

Ich sage Ihnen sehr deutlich: diesem Gesetz heute nicht zuzustimmen bedeutet, sich gegen die Verfassung zu stellen, denn Gleichstellungspolitik hat Verfassungsrang. Solange das nicht erreicht ist, ist eine Bevorzugung von Frauen geboten. Das ist höchstrichterlich bestätigt.

Wir haben mit dem Instrument der Frauenförderung und dem Ziel der Gleichstellung von Männern und Frauen eine Modernisierung des Verwaltungshandelns in Niedersachsen im Blick.

Von Gleichstellung profitieren alle: Frauen, Männer, Familien und nicht zuletzt das Land Niedersachsen.

Frauen in Führung haben oft einen anderen Blick auf Probleme und Fragestellungen, Männer lernen in Elternzeit ihre Kinder besser kennen und den Wert von Hausarbeit zu schätzen, Verwaltungen müssen in Zukunft Stellen grundsätzlich öffentlich ausschreiben und profitieren von einem größeren Bewerberangebot und auch mehr Frauen unter den Bewerbern.

Diese und andere Punkte haben wir in langen Diskussionen abgewogen, mit Verbänden diskutiert und mit den Landesbehörden durchgerungen. Lange hat es gedauert, gründlich ist der Gesetzentwurf durchdacht. Er ist reif zur Abstimmung.

Wir lassen es der neuen Mehrheit nicht durchgehen, sich aus einem der wichtigsten Vorhaben dieser Legislaturperiode zur Modernisierung Niedersachsens heraus zu stehlen und das Gesetz der Diskontinuität zu überantworten.

Es gibt ja neuerdings mindestens eine Befürworterin dieses Gesetzes in der CDU-Fraktion.

Jetzt kann sie ihre Überzeugung unter Beweis stellen und den Frauen in Niedersachsen einen letzten großen Dienst erweisen.

Ich beantrage die sofortige namentliche Abstimmung für diesen Entwurf des niedersächsischen Gleichberechtigungsgesetzes!

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.